Diese Tour begann wie viele andere mit massivem Ärger über die Deutsche Bahn AG: Der Automat, dem wir ein Bayern-Ticket für die Fahrt nach Mittenwald entlocken wollten, nahm keine 50-Euro-Scheine an. Dies ist zwar ein unglaublicher Affront gegenüber den Kunden, aber wir hatten mit Derartigem gerechnet, war uns die Deutsche Bahn AG doch seit langer Zeit als extrem kundenunfreundliches und miserabel geführtes Unternehmen mit hirnrissigen und hinterwäldlerischen Geschäftsprozessen bekannt.
So hatten wir vorsichtshalber eine EC-Karte mitgenommen, und frohgemut führte ich diese in den Automaten ein, der sie schon nach vier Leseversuchen erkannte, was in Anbetracht dessen, was man sonst gewohnt ist, ungläubige Dankbarkeit über den schnellen Erfolg hervorrief. Einen solchen Gemütszustand der Fahrgäste kann die Deutsche Bahn AG natürlich nicht akzeptieren, und so wurde die Freude über die unerwartet schnelle Erkennung der Karte abrupt durch die unmittelbar folgende Meldung des Automaten beendet: "Kein Guthaben" (sinngemäß).
Da wir sicher waren, daß das mit der Karte verbundene Girokonto ein mehr als ausreichendes Guthaben aufwies, brach ich den Vorgang ab und startete einen neuen Versuch, natürlich mit identischem Ergebnis. Mich irrationaler Hoffnung hingebend, wiederholte ich den Versuch noch einige Male, wobei nun einige Male ein Abbruch zusätzlich dadurch erzwungen wurde, daß der Automat die EC-Karte nicht erkannte und den Slot für die Karte sperrte, wohl in der Meinung, ihm solle eine Fälschung untergeschoben werden.
Schließlich erkannte ich, daß meine Sturheit derjenigen des Automaten nicht gewachsen war, verspürte emotionalen Druck angesichts derjenigen, die hinter mir in der mittlerweile längeren Schlange auf den Zugang zum Automaten warteten, und gab trotz des starken Wunsches nach physischer Rache gegenüber dem Gerät vorläufig auf.
In diesem Augenblick fuhr unser Zug ab. Damit hatten wir Zeit zum Nachdenken und zogen uns auf eine besonnte Bank in frühmorgendlicher Kühle zurück. Dort dämmerte uns, was die Ursache des Problems mit der EC-Karte sein könnte: Der Automat würde doch nicht etwa die Geldkartenfunktion nutzen wollen?
Einerseits war dies die einzig logische Erklärung für das Verhalten des Automaten, andererseits weigerten wir uns, dies zu glauben, denn ein derart schwachsinniges Vorgehen hätten wir bis dato nicht einmal der Deutschen Bahn AG zugetraut. Wie sich immer wieder zeigt, darf allerdings die Fähigkeit dieses Unternehmens, in jeder Woche noch größeren Mist zu bauen als in der vorherigen, nicht unterschätzt werden. Anscheinend gibt es keine obere Schranke für das dort versammelte Maß an Idiotie.
Bestätigung oder Widerlegung unserer Theorie konnte nur durch Experiment erfolgen. Per Fahrrad begab ich mich in die Innenstadt, wo ich mich zur nächstgelegenen Filiale der Bank meines Vertrauens durchfragte. Dort zog ich 20 EUR in kleinen Scheinen, die dem Automaten notfalls genehm sein sollten, und lud meine EC-Karte, die Geldkartenfunktion nutzend, mit 50 EUR auf. Nach meiner Rückkehr zum Bahnhof erwies sich unsere Vermutung tatsächlich als richtig; ich konnte das Ticket jetzt unter Verwendung der EC-Karte problemlos lösen. Dies war gerade noch so rechtzeitig erledigt, daß wir den nächsten Zug zu unserem Ziel nehmen konnten; leider benötigte dieser mehr als eine halbe Stunde länger zum Ziel als der, den wir ursprünglich zu benutzen beabsichtigten.
Aufgrund der hirnverbrannten Automatentechnik der Deutschen Bahn AG entstand für uns also großer Ärger und ein Zeitverlust von fast eineinhalb Stunden. Die Mitglieder der Führungsetage dieses Saftladens scheinen jedes für sich ein Ausfall von besonderem Schlag zu sein, selbst wenn man sie mit nur mit dem Pack vergleicht, welches in den Führungsetagen anderer großer deutscher Ags gierig, skrupel- und kenntnislos sein Unwesen treibt.
Wieviel Dummheit, Inkompetenz, Ignoranz und Arroganz muß ein Entscheider eigentlich besitzen, um als einzige Möglichkeit der elektronischen Zahlung an einem Automaten ausgerechnet diejenige auszuwählen, die in dem betreffenden Land am wenigsten verbreitet ist, oder bei Barzahlung einen der am häufigsten verwendeten und vorhandenen Geldscheine nicht zuzulassen? Ich persönlich kenne jedenfalls weder einen Verbraucher, der die Geldkartenfunktion jemals genutzt hätte (mich selbst eingeschlossen), noch auch nur einen einzigen Anbieter (außer der Bahn), der diese Zahlungsweise erzwingt.
Wenigstens verlief die Fahrt selbst ohne Verspätungen, und die unglaublich lange Dauer der Fahrt aus der Nähe von Augsburg in die Bayerischen Alpen hatte den positiven Effekt, daß sich in dieser Zeit der Zorn über das soeben Erlebte legen konnte – fürs Erste.
Die Tour beginnt am Mittenwalder Bahnhof und führt bald aus dem Ort hinaus zum Riedboden, wobei die junge Isar für einige Meter begleitet und einige Male gequert wird. Ziel ist zunächst der kleine, aber bei MTB-Fahrern sehr bekannte Ort Scharnitz, der knapp hinter der Grenze in Österreich liegt.
Die Fahrt von Mittenwald nach Scharnitz über den Riedboden ist bereits das erste Highlight dieser Tour. In der Ferne geradeaus erheben sich Karlspitze, Erlspitze, Solstein und die Brandjochspitzen, und die Flora beeindruckt. Das Naturschutzgebiet ist größtenteils von kurzem Gras und alten, kleinwüchsigen Föhren bestanden. Leider konnten wir bislang keine Details betreffend Biologie und Entstehung dieses Kleinods in Erfahrung bringen; das Aussehen des Bodens erinnert stellenweise jedenfalls an die Buckelwiesen.
Obwohl wir die Strecke oft gefahren sind, beeindruckt sie uns immer wieder. Vor einigen Jahren wollte es der Zufall, daß ich diesen Abschnitt sehr früh am Tag noch im Frühnebel genießen durfte; dies ist bis heute eine meiner schönsten Erinnerungen.
Der Weg verläuft hier fast flach; es werden knapp 50 hm auf einer Distanz von rund 10 km gewonnen. Aus diesem Grund ist dieser Weg für MTB-Fahrer eine optimale Verbindung von Mittenwald nach Scharnitz, die problemlos jeder MTB-Tour vorangestellt werden kann und ein lästiges Problem aller MTB-Fahrer löst, die aus Deutschland per Zug zu einer der vielen MTB-Touren anreisen möchten, die in Scharnitz beginnen: Das Bayern-Ticket gilt nur bis Mittenwald, jedoch nicht bis Scharnitz, das schon in Österreich liegt. Dank der wunderschönen Strecke durch den Riedboden kann der Zug in Mittenwald verlassen und die finanzielle und zeitliche Belastung der Grenzüberschreitung per Zug vermieden werden.
Spätestens in Scharnitz muß entschieden werden, ob der Hauptteil der Tour im Uhrzeigersinn oder gegen denselben absolviert werden soll. Die hier beschriebene Fahrtrichtung ist aufgrund des kurzen, unten beschriebenen brutalen Wegstücks die etwas schwierigere. Die Unterschiede zwischen den Fahrtrichtungen sind aber bei weitem nicht so bedeutend, daß man sich darüber ernsthaft Gedanken machen müßte.
In Scharnitz trifft man wieder auf die junge Isar; für die nächsten 5 km wird das Isartal flußaufwärts befahren. Auch das ist wieder ein faszinierendes Erlebnis in schöner Kulisse. Die Isar ist hier noch ein kristallener Wildfluß, die Kraft des Wassers während der Schneeschmelze läßt sich auch im Sommer erahnen, und nach jedem Hochwasser sieht dieser Teil des Isartales anders aus. Es bleibt genügend Zeit und Atem, den hier noch natürlichen, ungezähmten und durch keinerlei Beton vergewaltigten Fluß gebührend zu bewundern, denn auf diesem Streckenteil sind nur rund 100 hm auf gutem Weg zu überwinden.
Die Erfordernis an Fahrkönnen und Kondition ändert sich abrupt im nächsten Teil der Fahrt: Wo der Gleirschbach in die Isar mündet, wird das Isartal verlassen, und es beginnt die Auffahrt Richtung Oberbrunnalm, die für rund 2 km zunächst an der Flanke des Gleirschseiter verläuft, parallel zum Gleirschbach, aber ein gutes Stück oberhalb der Schlucht, die dieser in den Berg gegraben hat.
Der erste Teil dieser Auffahrt war brutal: Vor uns lag ein erschreckendes, steiles, mit Schotter übersätes und Gesteinsbrocken durchsetztes Ungeheuer von Karrenweg. Nur in einem Kampf bis aufs Messer mit Untergrund und Puls ließ sich diesem Höhenmeter für Höhenmeter abringen. Die meisten werden in Anbetracht der kommenden Aufgaben hier nicht bereits ihr ganzes Pulver verschießen wollen und stattdessen für einige Höhenmeter schieben.
Der Spuk hat nach gut 100 hm sein Ende; hier kreuzt ein bequemer Forstweg, der bis zum Ende dieses Abschnitts befahren wird. Die Idee, den oben erwähnten Karrenweg durch Benutzung der Gleirschklamm zu vermeiden, sollte von vornherein ad acta gelegt werden. Mit dem MTB ist das Fahren durch die Klamm unmöglich, und das Bike dort unter berechtigt schiefen Blicken von Wanderern durchzuschleppen, hat absolut keinen Sinn.
Der nächste Teil der Strecke beginnt mit der Querung des Gleirschbaches, die mit einem abrupten Richtungswechsel verbunden ist. Bis zur Oberbrunnalm sind danach rund 4 km und 400 hm auf gutem Untergrund zu absolvieren, im Prinzip das Isertal (Isertal, nicht Isartal) aufwärts, stets einige Höhenmeter oberhalb des Talbodens, an der Flanke von Hochwaldkopf und Zunterkopf entlang. Zwar tauchen ab und an steilere Rampen auf, aber insgesamt ist der Weg problemlos machbar und bereitet aufgrund der umgebenden Landschaft, der herrlichen Flora und der herrschenden Ruhe pure Freude.
Den hinteren Abschluß des Isertals bildet ein Joch, das den höchsten Punkt der Tour markiert, das Isertal vom Karltal trennt und sich den bergauf Fahrenden auf besondere Weise ankündigt: Angenehmer Gegenwind und unversehens wechselnde Düfte lassen eine Änderung der Situation erahnen, lange bevor es erreicht ist.
Auf dem Joch angekommen, eröffnen sich großartige Blicke auf Teile des Wetterstein-Massivs, und die Oberbrunnalm liegt nur noch wenige hundert Meter entfernt. Dort zu rasten, ist nun erste Pflicht des MTB-Fahrers; dies nicht etwa, weil die Fahrt ohne Rast aufgrund von Überanstrengung nicht mehr fortzusetzen wäre, sondern vielmehr der tollen Ausblicke sowie des Almwirtes und seiner Alm wegen.
Über Alm und Wirt kursieren einige Geschichten; von manchen können wir nun bestätigen, daß sie wahr sind. Tatsächlich erhält jeder Gast, egal wie verschwitzt, müde oder frisch, egal ob Radsportler oder Wanderer, als erste Verköstigung ohne weitere Nachfrage vom Wirt ein Stamperl Schnaps als Gegenmittel zu Durst oder Hunger.
Hinweise darauf, daß diese Verköstigung aus physiologischer Sicht möglicherweise der aktuellen Situation nicht angemessen sein könnte, sind sinnlos; der Wirt wird von allen anderen Gästen selbstverständlich dabei unterstützt, selbst strenge Abstinenzler wie mich davon zu überzeugen, sein Geschenk einzulösen.
Wir haben dies nicht bereut; der Schnaps, mild und mit starker, würziger Note, mundete exzellent. Allerdings besitzen wir mangels einschlägigen Fachwissens nicht die geringste Kenntnis über seine Inhaltsstoffe oder darüber, ob ihn der Wirt selbst gebrannt hat.
Nach diesem Vorspiel und dem Verzehr der hoffentlich getätigten regulären Bestellung kehrt völlige, störungslose Zufriedenheit in den Gast ein, und es mag einer der kostbaren Augenblicke entstehen, die lange im Gedächtnis haften bleiben. Kaum läßt sich festlegen, ob die einfache Speise aufgrund der guten Luft, aufgrund des Panoramas oder aufgrund der tollen Stimmung auf der urigen Alm so hervorragend geschmeckt hat.
Hier kann man sich durchaus verlieren und die Zeit völlig vergessen, allerdings erst nach einer kleinen Rechenaufgabe: Der Wirt möchte seine Kraft nicht an Unwichtiges verschwenden und fordert auch größere Gruppen von Gästen dazu auf, das zu zahlende Entgelt selbst auszurechnen. Nach Kenntnisnahme des so ermittelten Betrags erfolgt meistens eine Rundung nach unten, begleitet von den Worten: "Baßt scho".
Daß dem Wirt MTB-Fahrer ehrlich am Herzen liegen, ist immer spürbar. Schnell ist man in ein Gespräch über Klickpedale, Sturzgefahr oder ähnliche Dinge verwickelt. Der Zufall wollte es später, daß der Wirt mit seinem Jeep zum gleichen Zeitpunkt ins Tal fahren wollte, zu dem auch wir uns zum Aufbruch bereit machten. Er fragte uns tatsächlich, ob er mit dem Antritt seiner Fahrt so lange warten solle, bis wir aufgebrochen seien – um uns zuerst fahren zu lassen und so zu verhindern, daß wir unter dem von seinem Wagen aufgewirbelten Staub zu leiden hätten. Eine derartige Rücksichtnahme ist absolut begeisternd, zeugt von einem tollen Charakter und von großem Respekt gegenüber der Natur und dem Leben.
Die Alm selbst ist genauso kultig wie ihr Wirt: Soweit erkennbar, aus Holz gebaut, unterscheidet sie sich in angenehmster Weise von den modernen Betonklötzen, die mittlerweile leider auf vielen anderen Almen stehen und die vielleicht gerade noch einen Alibi-Anbau oder Balkonbrüstungen aus Holz besitzen. Zur entsprechenden Jahreszeit ist das Meckern junger Ziegen, die in Freigehegen mit Schweinen und anderen Tieren herumlaufen, gern gehörte akustische Begleitung beim Essen, Entspannen oder während der Gespräche.
Die Jungtiere nutzen die Vorteile ihres Kindchenschemas schamlos aus und wissen genau, daß ihre herzerweichenden Lautäußerungen von den Gästen nicht lange ausgehalten werden und diese dazu verleiten, ihnen Leckerbissen zu reichen, und so findet zuweilen ein äußerst amüsanter Wettbewerb um die am meisten Mitleid erregende Stimmlage statt. Es ist wohl unnötig, zu erwähnen, daß der Wirt seine Tiere an der Stimme zu erkennen und genau um die Charaktereigenschaften jedes Individuums zu wissen scheint.
Irgendwann aber muß, wenn auch schweren Herzens, der nächste Abschnitt der Tour angegangen werden. Dieser besteht zunächst aus einer rund 3 km langen Abfahrt über rund 300 hm durch das Karltal auf gutem Forstweg; am unteren Ende des Karltales zweigt der Weg zur Eppzirler Alm ab.
Ein Abstecher dorthin sollte unbedingt ins Programm aufgenommen werden. Obwohl rund 80 hm tiefer liegend als die Oberbrunnalm, befindet sich die Eppzirler Alm in sensationellem Gelände: Das Tal, in dem sie liegt, ist an drei Seiten von beeindruckenden, bis zu 2500 m hohen Bergmassiven umgeben, die fast schon ein wenig an die Dolomiten erinnern. Dazu gehören die Karlspitze im Nordosten, die Erlspitze im Südosten, die Freiungspitzen im Südwesten und die Seefelder Spitze im Nordwesten.
Hin- und Rückweg bei diesem Abstecher sind gleich; es sind rund 3.5 km und gut 200 hm (einfach), wieder auf gutem und bequem fahrbaren Weg. Trotz des Panoramas strahlt die Eppzirler Alm bei weitem nicht die Gemütlichkeit, Ehrlichkeit und Ruhe der Oberbrunnalm aus, sondern erinnert mehr an einen größeren gastronomischen Betrieb, allerdings ebenfalls von unberührter Natur umgeben und mit Sicherheit einen Besuch wert. Aufgrund fortgeschrittener Uhrzeit mußten wir für diesmal aber darauf verzichten und traten die Abfahrt zum Ausgangspunkt des Abstechers, also dem unteren Ende des Karltals, an.
Der nächste Teil der Strecke besteht in einer Abfahrt durch das Vordere und Hintere Lehntal und führt fast immer am Gießenbach entlang bis zur gleichnamigen Ortschaft. Auch auf dieser Abfahrt, auf der auf stellenweise etwas schottrigem, aber ansonsten gutem und breitem Forstweg rund 200 hm auf eine Distanz von knapp 3 km vernichtet werden, bieten sich wieder sehr schöne Panoramablicke, unter anderem auf das Massiv der Großen und Mittleren Arnspitze. Auch die kleinen Schluchten, die der Gießenbach stellenweise in den Fels gegraben hat, sind sehenswert.
In Gießenbach angekommen, ist Scharnitz das nächste Etappenziel, wobei darauf geachtet werden sollte, nicht direkt an der Seefelder Bundesstraße 177 / E533 entlang zu fahren. Vielmehr sollte der etwas schwierig zu findende Einstieg zu einem hier nicht vermuteten, sehr schönen und komplett fahrbaren Single-Trail gesucht werden, der in ausreichendem Abstand zur Bundesstraße über gut 2 km fast bis nach Scharnitz führt und zum Schluß dieser Tour nochmals einen Höhepunkt darstellt. Ab Scharnitz führt der Rückweg auf der Anfahrtsstrecke durch den herrlichen Riedboden nach Mittenwald zurück.
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