Diese Tour gehört zu den vielen unvergeßlichen, die in der Gegend um Mittenwald und Scharnitz ihren Ausgangspunkt haben. Wir starteten die Tour am Bahnhof in Mittenwald, weil wir uns den zeitlichen und finanziellen Aufwand des Grenzübertritts per Zug ersparen wollten: Das Bayern-Ticket gilt nur innerhalb Bayerns, Scharnitz liegt schon in Österreich.
Der erste Abschnitt der Fahrt führt ungefähr in Richtung Süden; nach knapp 2 km ist der Ortsrand von Mittenwald erreicht. Von dort verläuft eine schon andernorts gewürdigte, wie für MTB-Fahrer geschaffene Verbindung nach Scharnitz über den Riedboden. Durch diesen ziehen sich zwei Hauptwege; wir wählten diesmal denjenigen, der an der Isar entlang führt und der, wie sich herausstellen sollte, der noch interessantere der beiden ist.
Nach knapp 4 km und rund 50 hm schönster Fahrt ist Scharnitz erreicht. Die Durchquerung des kleinen Ortes nimmt ebenfalls kaum Zeit und Kraft in Anspruch und ist nach rund 2 km und 30 hm erledigt. Danach wechselt die Fahrtrichtung nach Osten, und die Strecke läuft stets nur wenige Meter vom Ufer der Isar entlang. Nach gut 1 km und rund 30 hm zweigt der Weg zur Pleisenhütte ab, und spätestens hier muß entschieden werden, welche der Herausforderungen zuerst angegangen wird: Hallerangeralm oder Pleisenhütte.
Da wir uns dafür entschieden hatten, zuerst die Hallerangeralm zu besuchen, ließen wir den Abzweig zur Pleisenhütte links liegen und folgten dem Weg weiter taleinwärts, bis nach knapp 2 km und 30 hm die am gegenüber liegenden Ufer befindliche Mündung des Gleirschbaches in die Isar erreicht war. Die landschaftlichen Eindrücke in diesem Teil der Fahrt sind an anderer Stelle geschildert und deshalb hier nicht ausführlich dargestellt; allerdings fand die Fahrt diesmal auf der anderen Seite der Isar statt.
Der noch verbleibende Weg zur Hallerangeralm gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil führt durch fast das gesamte Hinterautal, endet bei der Kastenalm und ist rund 10 km lang, die Höhendifferenz beträgt rund 150 hm. Es handelt sich dabei um eine der wenigen Strecken, die auch für absolute Anfänger, Senioren und Familien geeignet sind, dabei aber doch sensationelle landschaftliche Erlebnisse und Natureindrücke bieten.
Das unfaßbar schöne Hinterautal liegt im Herzen des Karwendel, zwischen der Vomper Kette und der Gleirsch-Halltal-Kette; es wurde von der Isar geschaffen, und mit jedem gefahrenen Meter nähert man sich dem Ursprung dieses viertgrößten bayerischen Flusses. Von wenigen Ausnahmen abgesehen, verläuft der auch mit einfachen Fahrrädern gut machbare Weg stets in Ufernähe.
Wahrlich atemberaubend sind dabei die Anblicke der Riesen der Gleirsch-Halltal-Kette: Hoher Gleirsch, Riegelkarspitzen, Jägerkarspitze, Hinterödkopf, Jägerkarlspitze, Praxmarerkarspitzen, Kaskarspitze, Sonntagkarspitze, Bachofenspitzen und der bekannte Lafatscher, allesamt zwischen 2400 m und 2700 m hoch, geben sich zur Rechten die Ehre.
Anfangs noch nicht sichtbar, weil der Weg zunächst an ihren Flanken entlang läuft, sind die Mitglieder der Vomper Kette. Erst wenn sich der Weg von den Bergflanken löst und sich mehr in die Mitte des Tales zieht, gelangen auch zur Linken majestätische Gipfel ins Blickfeld und rufen ungläubiges Staunen hervor. Die bekanntesten davon sind sicherlich Birkkarspitze und Ödkarspitze, beide rund 2750 m hoch, aber auch Kaltwasserkarspitze, Moserkarspitze, Kühkarlspitze und die Sonnenspitzen gehören dazu, jeweils über 2500 m hoch.
Selbst wer nicht nach links oder rechts blickt, hat immer noch den östlichen Abschluß der Vomper Kette mit Dreizinkenspitze, Grubenkarspitze, Rosslochspitze, Hochkanzel, Brantlspitze, Gamskarspitze, Hallerangerspitze und Sunntigerspitze vor Augen, alle zwischen 2300 m und 2700 m hoch. Die alpinen, Respekt gebietenden Felserhebungen kontrastieren mit der unmittelbaren Umgebung des Fahrers, die von lockerem, naturbelassenem, kühlendem Wald, unzähligen querenden Bachläufen sowie der einmal wie ein glucksender Waldbach, einmal wie ein reißender Bergfluß sich gebärenden Isar geprägt ist. Deren Wasser weist bereits hier, in so kurzer Entfernung von ihrer Quelle, die typische, durch ausgewaschene Kalkmineralien verursachte grünliche Farbe auf.
Kurz vor der Kastenalm stellte sich trotz der bisherigen Begeisterung ein mulmiges Gefühl ein. An einer bestimmten Stelle wird mit großen Hinweisschildern darauf aufmerksam gemacht, daß sich hier der Ursprung der Isar befinde. Obwohl dies, wie unten dargelegt, in unseren Augen Humbug ist, wäre dagegen zunächst nichts weiter einzuwenden. Allerdings soll hier offensichtlich einmal mehr aufgrund der unersättlichen Profitgier und zum ausschließlichen Nutzen einiger weniger skrupelloser Geschäftemacher demnächst die systematische Zerstörung des bislang unberührten Tals beginnen:
Voller Stolz wird auf Plakaten angekündigt, daß in dieser empfindlichen Gegend neue Wege gebaut werden, die zu den Quellen führen sollen, die gemeinsam angeblich den Ursprung der Isar bilden und die leider nicht direkt neben dem etablierten Hauptweg liegen, sondern einige hundert Meter abseits desselben.
Wie diese Geschichte enden wird, ist klar: Getrieben von Gier und bestochen durch Geschäftemacher wird die lokale Politaille bald dafür sorgen, daß das bislang unter Schutz stehende Hinterautal für KFZs geöffnet und der Forstweg asphaltiert wird, womit dann eines der letzten und wertvollsten Refugien des gesamten Alpenraums verloren wäre.
Dieser Verlust wird den daraus Vorteil ziehenden Busunternehmer im Stadtrat oder den schnittigen Vorsitzenden der lokalen Wirtschaftsjunioren kaum von ihren Plänen abhalten; Politik und Wirtschaft kennen schon immer weder Gewissen noch Verantwortung, sondern ausschließlich persönliche Bereicherung, Ausbeutung und Zerstörung der Natur, meist begründet durch das Totschlag-Argument, Arbeitsplätze zu schaffen.
Es bleibt nur zu wünschen, daß Umweltschützer in diesem Fall auf die Barrikaden gehen und den Fall rechtzeitig publik machen, und daß ein solches Vorhaben auch von den Gästen und Einwohnern entsprechend negativ bewertet wird – so wie derzeit die Olympia-Bewerbung bei den Einwohnern in Garmisch auf erheblichen Widerstand stößt, was höchsten Respekt abnötigt und Hoffnung für die Zukunft verleiht.
Bemerkenswert ist hierbei, daß erstmals in einem solchen Fall von großen Teilen der lokalen Bevölkerung Argumente des Umweltschutzes und nicht wirtschaftliche Argumente oder Forderungen nach mehr Geld ins Feld geführt werden. Wir hoffen inständig, daß die betroffenen Bauern hart bleiben und die Bevölkerung weiterhin hinter ihnen steht. Falls dies eintritt, sollte dieses weitsichtige, zukunftsorientierte Verhalten selbstverständlich belohnt werden, beispielsweise dadurch, daß der nächste Urlaub in dieser Gegend verbracht wird.
Das verbleibende kurze Stück Weg bis zur Kastenalm wurde also in etwas getrübter Stimmung zurückgelegt; spätestens hier allerdings gewannen die positiven Gefühle wieder die Oberhand. Die Kastenalm ist keine jener riesigen Abfütterungsanstalten, die in unberührter Natur nichts zu suchen haben, sondern ist in fast natürlicher Weise ins Gelände integriert. Sie liegt auf einem herrlichen Plateau, und es gibt genügend Rastmöglichkeiten auch abseits von ihr, wahlweise im Schatten des lichten Waldes neben dem Lafatscher Bach oder in der prallen Sonne hundert Meter nördlich.
Dieser ruhige, fast schon mystische Ort ist die Endstation der Tour für alle, die nicht mit einem guten MTB hierher gelangt sind oder lediglich mittelmäßige Kondition und Fahrtechnik besitzen, denn ab jetzt beginnt der eigentliche Anstieg zur Hallerangeralm über rund 5 km und 550 hm. Dieser weist im ersten Teil eine irrsinnige Steigung von teils über 25% sowie schwer zu fahrenden Belag auf dem Weg auf.
Hervorragende Kondition und exzellente Fahrtechnik sind Voraussetzung, um dieses Stück zu bewältigen, aber sogar unter Könnern werden die wenigsten in der Lage sein, komplett durchzufahren. An diesem Tag gab es unter den vielen MTB-Fahrern, die wir später auf der Alm trafen, nach eigener Aussage niemanden, der dies vermocht hätte.
Ich war an diesem Tag ebenfalls nicht in der Lage dazu, sondern war zwei- oder dreimal zum Anhalten gezwungen, weil ich mich versteuert hatte oder um Herz- und Atemfrequenz wieder auf ein vertretbares Maß zurückzuführen. Jedoch gelang es mir jedes Mal, wieder anzufahren, so daß mir der größte Alptraum jedes ehrgeizigen MTB-Fahrers, nämlich das Schieben, erspart blieb. Ich bin überzeugt davon, daß der Anstieg prinzipiell ohne Unterbrechung machbar ist, und werde diese offene Rechnung hoffentlich noch begleichen.
Später haben wir vom Wirt der Hallerangeralm erfahren, daß das besonders schwierige und steile untere Stück des Wegs zwei Tage vor unserem Besuch frisch aufgeschüttet worden war, was die Angelegenheit selbstverständlich erheblich erschwerte. Dazu kam, daß wir die Tour während der glühenden Hitze während des zweiten Wochenendes im Juli 2010 gefahren sind. Die von der Mittagssonne aufgeheizte Felswand auf der rechten Seite des Weges wirkte dabei wie ein zusätzlicher Heizkörper, und trotz der Höhe von rund 1300 m über NN lag an dieser Stelle keine Regung in der schwitzenden Luft.
Ungeachtet der Belastung für Kreislauf und Konzentration brennen sich die Bilder dieses Anstiegs genauso ins Gedächtnis wie der Schweiß in die Augen. In beeindruckender Weise stürzt der Lafatscher Bach durch eine wilde Schlucht steil, stellenweise fast senkrecht zu Tal, was der Grund für die wahnwitzige Steigung ist. Die Fahrt führt nämlich entgegen der Fallrichtung des Gewässers nahezu parallel zu diesem, allerdings meist mit einigem Abstand, am Rand der Schlucht nach oben.
Danach beginnt der zweite Teil der Auffahrt, der einen völlig anderen Charakter aufweist. Der Weg führt aus dem Hang und aus dem Wald hinaus, die im vorhergehenden Teil Panoramablicke verhindern, und verläuft stattdessen mehr in der Mitte von Tälern, meist in größerem Abstand zu hohen Bäumen. Er wird deutlich flacher und bietet sogar zweimal ein kurzes ebenes Stück zur Erholung an, ist aber nach wie vor schwierig zu fahren.
Gröbster Schotter und ständig aus dem Untergrund ragende größere Felsbrocken rütteln MTB-Fahrer trotz Federung selbst bei der niedrigen Geschwindigkeit der Aufwärtsfahrt kräftig durch, was trotz der geringeren Steigung nahezu genauso viel Kraft kostet wie der vorherige Abschnitt. Dazu noch werden die flacheren Stücke durch manch kurze, sehr steile Rampe ausgeglichen. Durchfahren ist aber definitiv möglich, obwohl wir auch hier manchen grundsätzlich gut trainiert wirkenden MTB-Fahrer schiebend angetroffen haben.
Das Panorama ist unbeschreiblich schön und abwechslungsreich, die Fahrt führt teils durch sattgrüne Almwiesen mit reichem Bestand an Naturblumen, die an anderen Orten kaum mehr angetroffen werden, in unmittelbarer Nähe der mächtigen Felswände des Lafatscher und der Speckkarspitze, mit Blick auf das Lafatscher Joch und die gigantische Nordost-Verschneidung des Kleinen Lafatscher, durch die eine der schwersten und berühmtesten Kletterrouten des Karwendel führt.
Das Hallerangerhaus gehört zu den mittelgroßen Almen; es ist vielleicht nicht ganz so natürlich und urig wie beispielsweise die Oberbrunnalm, und es herrscht wesentlich mehr Betrieb als dort. Solange aber die Anfahrt mit KFZs nicht möglich ist, bleibt die Welt in Ordnung. Die Aussicht von dort ist absolut spektakulär:
Bergmassive umgeben den Ort an zwei Seiten, ohne ihm die Luft zu nehmen. Nach Westen sind weite Blicke talabwärts über das Hinterautal möglich, nach Osten talaufwärts in Richtung Überschalloch. Die Eindrücke des Aufenthalts gehören zu jenen, die nicht nur im Gedächtnis, sondern auch in der Seele Heimat gefunden haben.
Wer am Hallerangerhaus angekommen ist, sollte es sich nicht nehmen lassen, einige Dutzend Meter nach Süden zu laufen, bis der Lafatscher Bach erreicht ist, und diesem für vielleicht 200 m aufwärts bis zu seiner Quelle zu folgen. Es ist faszinierend, zu erleben, wie dort das Wasser aus dem steinigen Boden des Bachbetts herausquillt, und diese Stelle wird von den meisten Einheimischen zu Recht als die Quelle der Isar betrachtet.
An der anderen oben genannten Stelle, die die erwähnten Interessengruppen als Ursprung der Isar ausbeuten, ist der Lafatscher Bach hingegen bereits ein respektables Gewässer, in das die angeblichen Quellen der Isar, die in ihrer Summe viel kleiner sind, seitlich hineinmünden. Es ist nachgerade lächerlich, diese kleinen Seitenbäche von wenigen hundert Metern Länge als die Ursprünge der Isar zu bezeichnen, da der viel größere Bach, in den sie fließen, an der Stelle des Aufeinandertreffens schon einige Kilometer alt ist.
Auf einer Hinweistafel an jener Stelle findet sich sogar noch eine fadenscheinige Erklärung des so leicht durchschaubaren Unsinns. Als Quelle eines Flusses wird hier derjenige Zulauf definiert, der ganzjährig Wasser führt. Darauf gibt es zwei Antworten:
Erstens halte ich es für ausgeschlossen, daß der Lafatscher Bach wie behauptet nicht ganzjährig Wasser führt, und Einheimische bestätigen diese Aussage. Allenfalls verschiebt sich die Quelle des Lafatscher Baches unter speziellen, seltenen Umständen ein wenig nach unten. Aber dies ändert nichts an der Tatsache, daß der Lafatscher Bach an der bewußten Stelle schon wesentlich länger und größer als alle weiteren Zuflüsse zusammen.
Zweitens ist die hier gegebene Definition des Begriffs Quelle keineswegs allgemein anerkannt [Link] [Link], sondern vielmehr zur Begründung der Vermarktungsabsichten aus den Fingern gesogen.
Obwohl die Rückfahrt ins Tal auf dem gleichen Weg wie die Anfahrt erfolgt, bieten sich neue Eindrücke, weil nun die Landschaft in umgekehrter Richtung betrachtet wird. Das Stück vor der Kastenalm erscheint bei der Fahrt bergab ebenso steil wie in umgekehrter Richtung, muß konzentriert angegangen werden und ruft stellenweise Zweifel daran hervor, daß man hier vor einiger Zeit wirklich hochgefahren ist.
Ab der Kastenalm ist die lange Abfahrt durch das Hinterautal bis zum Abzweig des Weges zur Pleisenhütte dann reinste Erholung. Dieser Abzweig mag während des schwerelosen Dahingleitens der Abfahrt und der gedanklichen Verlorenheit ob der Naturschönheiten vielleicht übersehen werden; er befindet sich kurz hinter dem Gasthaus Wiesenhof.
Während der Auffahrt zur Pleisenhütte sind rund 700 hm auf rund 6 km Strecke zu bewältigen. In einigen Publikationen wird der obere Teil dieses Anstiegs als sehr schwer beschrieben. Die ersten beiden Kilometer sind jedoch leicht machbar, die Steigung bleibt unter 15%, der Weg ist gut. Die Strecke verläuft im Wald, Panoramablicke sind noch nicht möglich.
Ungefähr ab der Querung des Wasserlegrabens steigen die Anforderungen dann zusehends: Der Weg wird steiler und schlechter, immer häufiger verlief unsere Fahrt in der prallen Sonne, die zur betreffenden Uhrzeit fast noch im Zenith stand, und langsam gingen unsere Vorräte an Trinkbarem zur Neige.
Die letzten beiden Kilometer vor der Pleisenhütte sind dann tatsächlich nochmals von anderem Kaliber. Sehr schwer zu fahrender Untergrund, nämlich tiefer, loser Schotter, verbündet sich hier mit fast schon extremen Steigungen von weit über 20%. Durchfahren ist nur für diejenigen möglich, die über ausgezeichnete Kondition und Fahrtechnik verfügen; das Gros derer, die sich hier versuchen, wird einige Stücke schieben müssen.
Mir blieb der Erfolg diesmal aufgrund eines Hungerastes und aufgrund von Flüssigkeitsmangel versagt; trotz langjähriger Erfahrung hatten wir die Wirkung der glühenden Hitze sowie den Bedarf an Kalorien unterschätzt. Es hat schon seinen Grund, daß anscheinend kaum jemand beide Anstiege (Hallerangerhaus und Pleisenhütte) in einer Tour versucht.
Wie bei dem Stück nach der Kastenalm blieb mir Schieben jedoch erspart; das Anfahren gelang nach jeder der Pausen, die durch einen allzu niedrigen Blutzuckerspiegel erzwungen wurden. Auch diese Rechnung werde ich eines Tages begleichen.
Die Aussicht von der Pleisenhütte ist von anderer Art als jene vom Hallerangerhaus, aber genauso schön. Rücken dort die Felswände fast zum Greifen nah an das Gebäude heran, so bietet sich hier ein fantastischer Überblick über mehr als einen Halbkreis auf die Nordwände eines Großteils der Gleirsch-Halltal-Kette und von Teilen der Nordkette, nämlich unter anderem Solstein, Erlspitze, Freiungspitzen, Reither Spitze, Karlspitze, Brandjochspitzen, Schönflecke, Hoher Gleirsch, Wasserkarspitze, Riegelkarspitzen, Praxmarerkarspitze, Kaskarspitze, Sonntagkarspitze, Bachofenspitzen, Lafatscher, Speckkarspitze, Bettelwurf, Hocheder und Rietzer Grieskogel, die letzteren bereits auf der anderen Seite des Inntals.
Die Pleisenhütte ist ein relativ großes, aber urgemütliches Bauwerk aus Holz, das neben der bemerkenswerten Gaststube auch Gruppenschlafräume in einfacher Ausführung bietet und oft als Ausgangspunkt für Expeditionen auf die Pleisenspitze oder andere Gipfel der Vomper Kette genutzt wird. Diese Gipfel bleiben Fußgängern vorbehalten; von der Pleisenhütte aus sind sie nicht sichtbar, weil letztere auf einem kleinen Plateau im Wald an der Flanke der Vomper Kette liegt. Lediglich ein eingeschränkter Blick auf die Pleisen ist von einigen Stellen dieses Plateaus aus möglich.
MTB-Fahrer sind auf Hütten oder Almen meist schnell mit anderen Gästen und den Wirtsleuten im Gespräch. Diesmal trafen wir eine Gruppe junger Männer, die alljährlich zusammen ihr traditionelles Männerwochenende auf der Pleisenhütte verbringen und dabei ihr Vorhaben, die Pleisenspitze zu besteigen, regelmäßig nicht durchführen können, weil Gründe wie die Geburtstagsfeier der Wirtin oder die Ankunft brasilianischer Samba-Tänzerinnen anläßlich eines Junggesellen-Abschieds zu einem Grad an Übernächtigung und vermutlich auch zu einem Alkoholspiegel führen, der derlei Aktivitäten unmöglich macht.
Die Tänzerinnen, aus einer Großstadt im Osten Deutschlands stammend, waren laut Schilderung bei der telefonischen Beauftragung begeistert von der Aussicht auf diesen ungewöhnlichen Auftritt, wußten aber offensichtlich nicht, was der Wortteil "Berg" im Wort "Berghütte" in Österreich wohl bedeuten möge.
Dementsprechend hatten sie zwar mit der langen Anreise, aber nicht mit einem Abschluß des Arbeitswegs gerechnet, der in einem kräftezehrenden Fußmarsch von 700 hm auf schlechtem Weg bestand, der wohl besser in Bergschuhen als in Städterinnen-Equipment zurückgelegt worden wäre, und verweigerten nach der Ankunft aus Ärger, Erschöpfung, Schmerz und übler Laune zunächst die Arbeit. Mit fortschreitender Uhrzeit kehrten die Damen jedoch in ihren angeborenen, fröhlichen Gemütszustand zurück, und die Angelegenheit nahm einen glücklichen Ausgang.
Wir konnten uns die Ankunft der Tänzerinnen in ihrem ungeeigneten Schuhwerk und mit ihren in dieser Umgebung zum Lachen reizenden sonstigen Accessoires lebhaft vorstellen und saßen für die nächste halbe Stunde mit breitem Grinsen am Tisch, während uns die Männergruppe weitere Erlebnisse aus ihren Aufenthalten an diesem Ort erzählte.
Einer der Männer hatte auf der Hütte bereits einmal für ein Jahr als Koch gearbeitet und war insofern für mich ein interessanter Gesprächspartner, durfte ich doch nun endlich auf die Antwort auf eine existentielle Frage hoffen: Warum nur ist der Kaiserschmarrn, der auf den höher liegender Berghütten in Österreich zubereitet wird, der beste der Welt?
Der Grund scheint tatsächlich in der Höhe des Zubereitungsorts über dem Meeresspiegel zu liegen. Mein Gesprächspartner schilderte, daß er an seinem Wohnort in rund 500 m Höhe den Kaiserschmarrn unter Beachtung aller Besonderheiten der Zubereitung (keine Milch, Blechpfanne) nach identischem Rezept wie auf der Hütte nachgekocht hatte, das Ergebnis dieser Bemühungen jedoch die Erwartungen über alle Maßen enttäuschte.
Mir bleibt es dabei ein Rätsel, wie der Luftdruck und der Siedepunkt von Wasser, die mir die einzigen relevanten physikalischen Unterschiede zwischen Zubereitungsorten scheinen, die in verschiedenen Höhen liegen, den Geschmack von Speisen derart beeinflussen können. Vielleicht ändert sich auch nur die Wahrnehmung der Geschmacks- und Geruchsrezeptoren in Zunge, Gaumen und Nase mit zunehmender Höhe oder nach körperlicher Belastung?
Mit reichlich, selbstverständlich in Form von Kaiserschmarrn zugeführtem Kraftstoff im Blut kann nun der Rückweg konzentriert gemeistert werden, und während der Abfahrt werden wieder unter Steigerung des Selbstbewußtseins aufgrund der Tatsache, daß man vor nicht allzulanger Zeit diesen Weg in umgekehrter Richtung bezwungen hat, die Schwierigkeit des Untergrunds und die Steilheit fast ungläubig zur Kenntnis genommen. Billige Scheibenbremsanlagen kommen hier an ihre Grenzen; vor der Querung von Bachläufen sollte schlechtem Material die Gelegenheit zur Abkühlung gegeben werden. Andernfalls besteht die Gefahr, daß die Bremsscheiben sich bei der Abschreckung durch das kalte Wasser verformen.
Die rund 6 km der Abfahrt verstreichen wie im Flug, und zu bald ist der Hauptweg durch das Hinterautal wieder erreicht. Die Rückfahrt findet auf dem Anfahrtsweg statt, der sich in dieser Richtung aufgrund des stetigen, leichten Gefälles fast von alleine zurücklegt. Nach rund 3 km wird der Ortskern von Scharnitz passiert, und der letzte Abschnitt über rund 6 km besteht dann nur noch in der genußvollen Fahrt durch den Riedboden bis zum Ortsrand von Mittenwald und von dort über hauptsächlich kleine Sträßchen zum Bahnhof.
Fazit: Absolute Traumtour in sensationeller Kulisse, deren Anforderungen zumindest bei Hitze auch mit MTB-Erfahrung über 25 Jahre noch unterschätzt werden können; gut einteilbar in Einzelabschnitte, die auch an verschiedenen Tagen gefahren werden können; das Hinterautal bis zur Kastenalm bietet bereits unvergeßliche Landschaft und ist für fast jede Art von Fahrrad und Fahrer geeignet.
Lob, Kritik, Anregungen und Fehlerhinweise gerne an: post@mtb-genuss.de